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"Stress ist ein ganz normaler Bestandteil im IngenieurInnen-Beruf.
Und das sollte man auch nicht überbewerten!"
 

(Empirisches Forschungsprojekt 2020/2021)

„Stress ist ein ganz normaler Bestandteil im Ingenieur-Beruf. Und das sollte man auch nicht überbewerten.“; 50 Prozent der teilnehmenden Ingenieurinnen und Ingenieure stimmten dieser Aussage in einer anonymisierten Online-Umfrage (N = 61) zu, 16 Prozent waren sich diesbezüglich unsicher und 34 Prozent widersprachen.

 

Objektiv betrachtet kann man dem ersten Teil der Aussage aufgrund der Faktenlage uneingeschränkt zustimmen (Berger & Manske, 2017): Von der fortschreitenden Veränderung der Arbeitswelt, der zunehmenden Technisierung der Umwelt und eines zunehmenden Fachkräftemangels sind im besonderen Maße die technischen und ingenieurwissenschaftlichen Berufe betroffen. Der Ingenieur-Beruf ist zudem durch eine hohe potenzielle Stress-Belastung aufgrund von hoher Schadensverantwortung im Fehlerfall, zeitgetriebenen Projekten und gleichzeitiger Betreuung verschiedenartiger Aufgaben geprägt. Dies steht auch in Kongruenz zu den ermittelten Ergebnissen der wahrgenommenen Stressbelastung von Ingenieurinnen und Ingenieuren aus den oben erwähnten Datenerhebungen in den Jahren 2018 bis 2020. Wie ist jedoch der zweite Teil der Aussage zu bewerten, der offensichtlich auch mehrheitlich Zustimmung unter den befragten Ingenieurinnen und Ingenieuren bekommen hat?

Stellt man hier wiederum die Verbindung zu der empfundenen Stressbelastung der Befragten her, die im Mittelwert im oberen Drittel des definierten Belastungsbereichs lag, wirft sich nun die Frage nach den Ursachen und Gründen für die Einschätzung der Teilnehmer auf, dass Stress ein immanenter, unabänderbarer und – das kommt durch den zweiten Teil der Aussage verschärfend hinzu – zu akzeptierender, bagatellisierter  und sogar zu vernachlässigender, weil nicht überzubewertender Bestandteil des Berufsbildes sei?

 

Zu der explorativen empirischen Klärung der Hintergründe dieses Phänomens einer angenommenen Stress-Immanenz im Ingenieur-Beruf wurden aus der Theorie induktiv-deduktiv sechs Konstrukte als Indikatoren möglicher Hintergründe ausgewählt. Diese Konstrukte bildeten die Basis zur Entwicklung eines Messinstruments, das neben den persönlichen und beruflichen Bedingungen und der wahrgenommenen Stress-Belastung anhand von 24 Items auch mögliche Hintergründe erfasste.

 

In den Ergebnissen zeigte sich, dass die persönlichen und beruflichen Bedingungen kaum Einfluss auf den Zustimmungsgrad zu der angenommenen Stress-Immanenz hatten. Jedoch konnten mögliche Hintergründe identifiziert werden, die entweder in einem signifikanten Zusammenhang mit der Stress-Belastung oder dem Zustimmungsgrad stehen:

- Bewusste Akzeptanz der eigenen Stress-Belastung trotz besseren Wissens.

- Stress als allgemein akzeptierter Bestandteil des Berufs, der nicht thematisiert wird.

- Betroffene tragen kritiklos den nachlässigen Umgang mit Stress mit.

- Bewusste Verdrängung der eigenen Stress-Belastung zum Schutz vor Kontrollverlust.

- Rechtfertigung der Stress-Belastung aufgrund einer zwanghaften Motivation zur Arbeit.

- Bagatellisierung der Stress-Belastung im Kontext eines Arbeit-Familien-Konflikt.

- Die Auseinandersetzung mit Stress als unkontrollierbare Bedrohung wird vermieden.

- Betroffene glauben, dass sie selber schuld sind an den abwertenden Folgen von Stress.

- Unterschätzung der Folgen von Stress durch Fehleinschätzung der eigenen Stress-Resistenz.

- Keine Existenz/Nutzung eines Korrektivs zur Selbstkontrolle von Stress-Belastungen.

- Die Auseinandersetzung mit Stress als unkontrollierbare Bedrohung ist unnötig.

Ergänzend wurden signifikante Moderator- und Mediator-Effekte zwischen den Variablen ermittelt. Darauf aufbauend könnte mittels Kausaldiagramm- und Faktorenanalyse ein Strukturgleichungsmodell entwickelt und evaluiert werden. Die Einbettung der Ergebnisse in das Transaktionale Stress-Modell von Lazarus und Folkman (1984) bietet einen Erklärungsrahmen dafür, warum mögliche Hintergründe einen eher zustimmenden oder einen eher ablehnenden Charakter mit Bezug zu dem Zustimmungsgrad einer angenommenen Stress-Immanenz im Ingenieur-Beruf aufweisen.

Quelle: Schein, C.: "Empirische Untersuchung der Hintergründe einer angenommenen Stress-Immanenz im IngenieurInnen-Beruf",
Master-Thesis, PFH Göttingen, 2021.

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